Ethik und VR - Es sollte uns zu (be)denken geben

Der ethische Diskurs rund um Virtuelle Realität (VR) ist nicht neu. Vor einigen Jahren beschränkte sich die Medienkritik und -regulierung aber vorwiegend auf die Werke der Spieleindustrie, die seinerzeit noch nicht voll immersiv waren. Hier hat eine Regulierung stattgefunden: Ratings wie FSK, USK, PEGI und ESRB geben uns eine Matrix und helfen uns somit, auf den ersten Blick ein Spiel in irgendeine Nische einzuordnen. Reviews in Spiele-Magazinen, Film-Trailer oder Kritiken in Zeitschriften geben uns zusätzlich Auskunft.

Der Markteintritt von VR hat dem Diskurs erneut Auftrieb gegeben. Dabei stehen häufig Freizeitanwendungen im Fokus der Berichterstattung. Diejenigen, die schon einmal eine VR-Anwendung ausprobiert haben, wissen heute immer noch mit hoher Wahrscheinlichkeit, um welche konkrete Anwendung es sich zu der Zeit handelte. Es versetzt uns in Erstaunen, wie immersiv die Erfahrungen sind.

Dabei hat VR jenseits des Konsumentenbereichs ungeahnte positive Möglichkeiten und viele kreative Ideen für gesellschaftlichen Mehrwert. Vier Beispiele:

  • Medizinsektor – VR im Operationssaal: In Kombination mit den CT/MRT Daten eines Patienten kann ein operativer Eingriff, kompliziert oder nicht, in einer VR-Umgebung vorher erprobt und über Ländergrenzen und Zeitzonen hinweg mit anderen Kollegen geprobt werden.
     
  • Ausbildung – Mitarbeiter Fortbildung: Ausbildung auf neuen Flugzeugmustern, PKWs oder kompletten Schiffsbrücken können in einer VR-Umgebung zügiger und kostengünstiger realisiert werden.
     
  • Virtuelle Meetings – Reisekostenreduktion: Mit realitätsgetreuen Avataren in einem ortsunabhängigen virtuellen Raum lassen sich auch Mitarbeiterbesprechungen ausrichten.
     
  • Bildungssektor – Schulausflug zum Eyjafjallajökull: Bestehende Lösungen wie Google Earth VR erlauben VR-Teleportationen rund um den Globus. Studierende in der Klimaforschung könnten beispielsweise in anderen Anwendungen den Rückgang des grönländischen Eisschildes studieren. Ein 360° VR-Video über den Eyjafjallajökull könnte dessen Größe verdeutlichen.

Das ist nur ein kleiner Ausflug in die Einsatzmöglichkeiten von VR als Dienst für die Menschen und seine Umwelt. Es wird spannend, wie dieser Industriezweig unser aller Zukunft verändern wird.

 

Risiken nicht aus den Augen verlieren

Zugleich sollten wir jedoch die möglichen Risiken von VR nicht aus den Augen verlieren. Studien weisen auf Risiken hin, die VR etwa für Medienschaffenden, Content Provider, Marketer und Anwender mit sich bringen können.

Initiativen wie das VERE Project, das sich auf Universitätsebene empirisch mit dem Thema befasst, zeigen in mehreren Studien auf, wie tiefgreifend die Auswirkungen von virtuellen Welten auf das menschliche Bewusstsein sein können.

Wir sollten uns nun bewusst machen, was diese Immersion auf einen selbst bewirkt. Wir sprechen dabei nicht nur über die „Motion Sickness“, also die vielen bekannte Übelkeit, die als erster negativer Effekt nach längerem VR-Gebrauch aufkommt. Sobald VR-Spiele aber tatsächlich länger gespielt werden können, dürfte auch Spielsucht problematisiert werden, und damit verbunden ein möglicher Verlust von Orientierung, gestörte Wahrnehmung der eigentlichen Realität und Identifikationsprobleme mit der eigenen Identität. Denkbar ist auch die Entwicklung von Phobien oder Herz-Kreislauf-Krankheiten als Folge von psychischen Belastungen infolge des VR-Konsums. Möglicherweise sprechen wir in Zukunft auch über einen „Reality-Lag“: der Effekt, mit dem wir die Realitätswahrnehmung nach einem langen VR-Konsum verlieren und uns erst wieder an die eigentliche Welt gewöhnen müssen.

Die sich sehr stark abgrenzenden dargelegten Beispiele weiß man auch sehr gut zu differenzieren. Zu bedenken ist hier der Raum dazwischen. Das leichte biegen aber nicht unbedingt brechen von Regeln und Regelungen die der Mensch wegen seiner Erfahrung nach, in seinen ethischen Grundsätzen gefestigt hat.

 

Was wir tun können

  • Forschung: Wir müssen weiterhin verstärkt in die Forschung investieren, um mehr über die Auswirkungen auf das menschliche Bewusstsein zu erfahren.
     
  • Spielregeln – ein „Code of Ethics in VR“: Von der Forschung vorgeschlagen und empfohlen sollte sich die digitale Wirtschaft im Rahmen einer Selbstregulierung an die Umsetzung eines ethischen Regelwerks machen.
     
  • Produktkennzeichnung: Eine Kennzeichnung von Anwendungen, ähnlich dem deutschen FSK oder dem amerikanischem PEGI, würde dem Verbraucher helfen und ihn über die Tiefe bzw. Stärke der Immersion informieren. Klarheit macht hier mehr als Sinn – und zwar nicht nur über die empfohlene Hardware-Voraussetzung.
     
  • Austausch und Diskussion: Der BVDW bringt mit der Fokusgruppe VR/AR und der Projektgruppe Digitale Ethik die Forschung, digitale Wirtschaft und andere Stakeholder an einen Tisch.
     
  • Aufklärung der Legislative: Der BVDW ist im Dialog mit dem Gesetzgeber, um auf die ethischen Fragestellungen aufmerksam zu machen und beratend tätig zu sein. Diesen Dialog gilt es auszubauen.

Heute ist VR noch eine Nische, aber sie ist im starken Wachstum begriffen. Als neues Medium wird VR auch unser Verständnis von gemeinsamen Leben, Arbeiten und Beziehungen tiefgreifend verändern – möglicherweise sogar ähnlich wie das Smartphone über die letzten Jahre oder der Einzug der ersten Fernsehapparate in die Wohnzimmer. Auf dem Gebiet muss noch viel geforscht und ausprobiert werden – um am Ende das Richtige zu tun.