Wir müssen die Chancen sichern

BVDW-Experte Wolfgang Gründinger fordert die Wirtschaft auf, sich in die Diskussion über Daten-Ethik einzuschalten

 

Herr Gründinger, was ist mit Datenethik gemeint?

Jedenfalls nicht, dass wir eine neue Ethik für Daten bräuchten. Der Begriff meint, dass wir unsere ethischen Maßstäbe auch in einem Zeitalter anwenden müssen, das zunehmend von Datenerfassung und -verarbeitung geprägt ist.

 

Was heißt das konkret?

Stellen Sie sich einen Assistenzroboter in einem Pflegeheim vor: Welche Informationen soll der sammeln und weitergeben? Zum Beispiel auch, wenn jemand heimlich raucht? Oder nehmen Sie das Beispiel der vernetzten Autos: Die könnte man doch gleich so programmieren, dass man gar nicht mehr schneller fahren kann, als es erlaubt ist. Wir müssen uns darüber verständigen, wie viel Freiheit und wie viel Kontrolle die Gesellschaft haben möchte.

 

Und das Ziel eines solchen Prozesses wäre gewissermaßen eine Magna Charta für die Datenverarbeitung?

Ich glaube nicht, dass wir eine Magna Charta brauchen. Wir müssen einfach die Grundrechte in den digitalen Raum übertragen. Da ist natürlich noch sehr viel Detail-Arbeit erforderlich.

 

Vernetzte Autos sind ein gutes Beispiel: Die liefern ja sehr viele persönliche Daten wie zum Beispiel Bewegungsmuster oder Informationen zum Fahrstil. Läuft das nicht automatisch auf den „Gläsernen Bürger“ hinaus?

Das ist eher ein Schreckgespenst. Diese Form der Datenverarbeitung stellt nur dann eine Gefahr für die Grundordnung oder die Freiheit des Einzelnen dar, wenn die Daten missbraucht werden. Wir brauchen eben Regeln, die genau das ausschließen.

 

Und wo sehen Sie da den Beitrag der Wirtschaft?

Zuallererst besteht dieser Beitrag darin, eine höchstmögliche Transparenz zu schaffen, welche Daten erfasst werden und was mit diesen Infos geschieht. Die Industrie muss sich mit der Politik auf strenge Regeln und harte Strafen verständigen, wenn gegen diese Regeln verstoßen wird. Die Verbraucher brauchen Klarheit darüber, was erhoben wird und was damit gemacht wird.  Und sie müssen die Freiheit haben, der Nutzung ihrer Daten zu widersprechen.

 

Was würde denn passieren, wenn genau diese Transparenz nicht hergestellt werden kann?

Ich bin der Überzeugung, dass Worst-Case-Szenarien hier nicht weiterhelfen. Da dürfen wir uns nicht von irgendwelchen Science-Fiction-Filmen verrückt machen lassen, die ein gruseliges Bild der technischen Zukunft zeichnen. Wer sich nur auf die Risiken fokussiert, verliert die Chancen aus dem Blick, die in dem Thema stecken. 

Aber wir laufen wir nicht Gefahr, mit Blick auf das Thema Datenschutz abzustumpfen? Anlässlich der Volkszählung von 1987 sind viele Sturm gelaufen, heute erlauben wir Apple oder Google einfach per AGB das Sammeln viel weiter reichender Informationen.

Die Frage ist doch, warum wir das hinnehmen. Ich denke, wir nehmen das hin, weil wir darauf vertrauen, dass diese Daten nicht missbraucht werden, um in unsere Freiheit einzugreifen. Sobald  wir die Befürchtung hätten, dass diese Daten gegen uns verwendet werden, würden wir das auch nicht mehr so bereitwillig erlauben.

 

Also gibt es eigentlich keine Risiken? Warum sollen wir uns dann mit Daten-Ethik befassen?

Risiken gibt es natürlich schon. Aber die gehen über das Digitale und Daten hinaus und müssen breit in der Gesellschaft diskutiert werden. Zum Beispiel beim Thema Gesundheit. Da gibt es ja schon Wearables wie Fitnessuhren oder -tracker, die viele Daten erfassen. Wollen wir, dass es zukünftig eine Zwei-Klassen-Medizin gibt, die unterscheidet zwischen Bürgern, die sich rund um die Uhr digital erfassen lassen und gesund leben, und solchen die das nicht tun? Das ist keine Diskussion über Daten, sondern darüber, wie wir unsere Gesellschaft gestalten wollen.

 

Und damit soll sich die digitale Wirtschaft befassen?

Auf jeden Fall. Erstens geht es hier darum, Vertrauen zu schaffen. Bürger müssen davon ausgehen können, dass Daten nicht gegen sie verwendet werden. Und zweitens werden die Regeln ja vom Gesetzgeber gemacht. Hier muss die Wirtschaft dazu beitragen, dass der nicht überreagiert, weil in der Bevölkerung Panik ausbricht. Unternehmen müssen Transparenz schaffen, sich an der Diskussion beteiligen und klar machen, wo ihre Schmerzgrenze liegt.

 

Warum ist Datenethik wichtig für das Internet der Dinge?

Aus Sicht der Wirtschaft: Weil sie die Chancen für Geschäftsmodelle in diesem Kontext sichert. Wenn wir nicht den Dialog mit der Politik und der Gesellschaft suchen, haben wir ein Problem.

 

Quelle: Interview mit LEAD digital 10/2017, Titel: „Internet of Things: Wie nützt das Datenmeer dem Marketing?“