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Die Hyperindustrialisierung des Internets
Die smarte Fabrik kann mehr als Bits, Bytes und Schräubchen. Hinter der digitalen Produktion versteckt sich vielmehr ein Konglomerat neuer Geschäftsmodelle. Auf den ersten Blick dominieren Technologien und Dienstleistungen von US-Unternehmen die Bestrebungen rund um Industrie 4.0. Doch das täuscht. Der Kuchen ist längst nicht aufgeteilt. BVDW-Vizepräsident Achim Himmelreich zur Zukunft der deutschen Industrie.
Getrieben vom Internet werden Smartphones zum digitalen Alleskönner. Die internetfähigen Mobiltelefone koordinieren nicht nur Musik und Kommunikation, sondern wahlweise auch die Energieversorgung in den eigenen vier Wänden. Dass die Vernetzung der Welt in vollem Gange ist, zeigen jedoch nicht nur die für die Digitalisierung verantwortlichen Technologien und Produkte. Die alten Branchengrenzen verschwimmen, in den Grauzonen entstehen neue Geschäftsmodelle. So steuern die Softwareprogramme großer Internetkonzerne beispielsweise PKWs durch den Straßenverkehr und soziale Netzwerke werden zum Finanzdienstleister. Und am selbstfahrenden Auto arbeiten Zulieferer wie Continental, Hersteller wie Mercedes Benz und der Suchmaschinengigant Google gleichermaßen.
Google dringt mittlerweile sogar verstärkt in unser Heim. Für 3,2 Milliarden US-Dollar kaufte der Internetkonzern das Unternehmen Nest Labs. Der US-amerikanische Haustechnikanbieter baut Thermostate und Rauchmelder, die mit dem Internet verbunden sind. Das von dem Unternehmen produzierte Thermostat speichert mit Hilfe von Sensoren und Computeralgorithmen die bevorzugte Raumtemperatur eines Verbrauchers, erfasst Daten zur Luftfeuchtigkeit, Helligkeit bis zur Wahrnehmung von Aktivitäten im Haushalt. Gesteuert werden die Haushaltsgeräte über das Smartphone. Google beschränkt sich so weiterhin auf das Kerngeschäft, erschließt zeitgleich aber neue Märkte. Der Zugriff auf Nutzerdaten ist fast unendlich und die Suchmaschine der universelle Werbestar.
Vernetzte Welt
Mitten hinein in die Welt des Silicon Valley bricht die deutsche Bundesregierung mit ihrem Strategiepapier zur Industrie 4.0. Von der vernetzten Produktion ist die Rede, also von digitalen Fabriken und smarten Schräubchen, die wissen wer sie sind, was sie brauchen und wohin sie gehören. Die Vision mag auf den ersten Blick nicht zur prunkvollen Internetgemeinde aus Kalifornien passen, klingt sie doch vielmehr nach einem Werksleiter, der mittels eines Apple-Tablets seine Produktion auf dem gesamten Globus managt. Die Steuerungssoftware kommt vom US-Anbieter Oracle, die Vernetzungskompetenz liegt bei Google. Womöglich stammt das Tablet auch vom japanischen Unternehmen Samsung, doch das ist unerheblich. Denn der deutsche Maschinenbauer ist lediglich Abnehmer jener digitalen Produkte und Dienstleistungen, um die Effizienz seines heimischen Produktionsprozesses voll auszuschöpfen. Sein Ziel: Keine Lagerungskosten, weil die Produktion in Echtzeit stattfindet. Sobald ein Schräubchen für eine Werkzeugmaschine in Neu Delhi angefragt wird, findet die intelligente Fertigung mit Sitz in Oberbayern umgehend den schnellsten Weg, das entsprechende Werkzeug an die Maschine in Indien zu bringen.
Doch die Vision von „Industrie 4.0“ geht einen entscheidenden Schritt weiter. Sie strebt nichts Geringeres als die Hyperindustrialisierung des Internets an. In der smarten Fabrik kommen die digitalen Möglichkeiten voll zur Entfaltung. Kundenindividuelle Massenproduktion wird zum Standard und Lagerhaltung gibt es fast nicht mehr. Informationen über Werkzeugmaschinen und einzelne Teilchen müssen heute noch Menschen auslesen, bald aber kommt die Information über das Internet. Damit werden aber nicht nur die bestehenden Prozesse optimiert, sondern die Veränderung ist viel substantieller: Was die digitale Transformation auszeichnet, ist, dass eben nicht nur Prozesse verbessert, sondern komplette Geschäftsmodelle umgekrempelt werden.
Operationssystem 4.0 managen
Der Werksleiter steht künftig zwar mit einer Mixtur US-amerikanischer oder asiatischer Hardwareprodukte in seiner Fertigungshalle. Sein Geld verdient er jedoch nicht nur mit Werkzeugmaschinen „made in germany“, die er in Schwellenländern absetzt. Aus traditionellen Produktmärkten werden Servicemärkte. Deutsche Hersteller sind Weltklasse, wenn es um die verschiedenen Automatisierungstechniken im Maschinenbau geht, wo auch noch bis auf weiteres kein Wettbewerb zu Internet-Giganten besteht. Diese Chance müssen die Unternehmen nutzen und als Anbieter für die entsprechende Software auftreten. Die intelligente Fabrik braucht nämlich ein entsprechendes Betriebssystem – und da gehe es um neue Konsortien, die gerade erst entstehen. Eine einzelne Firma wie im Consumerbereich kann gar nicht die gesamte Leistungspalette anbieten, notwendig ist vielmehr eine Allianz ganz unterschiedlicher Anbieter.
Produktionsstandort Deutschland ist in Gefahr
Im B2C-Bereich ist der Kuchen aufgeteilt und die amerikanischen Intergiganten dominieren den Markt. Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass sich diese Entwicklung im industriellen Bereich wiederholt. Natürlich wird es nicht die eine einzige Industrieplattform geben, die ähnlich wie AirBnB den gesamten Hotelmarkt auf den Kopf gestellt, nun den gesamten Manufacturingbereich dominiert. Aber einzelne Branchen- oder Funktionslösungen sind durchaus im Bereich des Möglichen. Und die Beispiele im B2C-Bereich zeigen überdeutlich, wohin dann ein Großteil der Erträge wandert.
Man denke nur an die für Deutschland so eminent wichtige Automobilindustrie. Noch dominieren die deutschen Hersteller den Weltmarkt. Aber der Markt wandelt sich bereits jetzt von Produkt- zu einem Servicemarkt, bei der Zugang zu Mobilität und nicht der Besitz eines Autos entscheidend ist – und Mobilitätsservice in der nahen Zukunft ist intermodal, d.h. verkehrsmittelübergreifend. Ich werde in der Zukunft eine Plattform nutzen, bei der ich meine Reise von A nach B buche und bekomme dann für jede Teilstrecke das beste Verkehrsmittel zur Verfügung gestellt, sei es mal ein Fahrrad, die Bahn oder eben auch ein Automobil. Und in diesem Szenario wird die Mobilitätsplattform jene Spinne im Netz sein, die den Großteil der Erträge bekommt, weil sie eben den Kontakt zum Kunden beherrscht. Und die Automobilhersteller werden in diesem Fall zu Hardwarelieferanten degradiert – mit dem entsprechenden Druck auf die Margen. Was diese für den Produktionsstandort Deutschland bedeutet, ist offensichtlich.
Völlig analoge Entwicklungen bahnen sich in allen industriellen Bereichen an – selbst Gabelstapler werden immer weniger gekauft. Stattdessen entwickelt sich etwas, was man als „Forklifter as a Service“ bezeichnen kann – mit der nächsten Entwicklungsstufe des „Manufacturing Logistics as a Service.“
Deutschlands Spitzenposition im Maschinenbau ist aktuell vorhanden. Wir treten aber ein in eine Ära der Neuverteilung der industriellen Entwicklungs- und Produktionsanteile aufgrund der umfassenden Umwälzungen durch die Digitale Transformation. Dass Deutschland dabei seine Spitzenposition behält, ist keineswegs selbstverständlich. Die deutsche Industrie muss sich dazu selbst digital neu erfinden – und beginnen Geschäftsmodelle in Netzwerk-, Plattform- und Servicedimensionen zu denken.