Mitgliedernews: Aftermarket im Zeitalter der Digitalen Transformation

Für die Hersteller von Produkten wie Autos, LKW oder hochwertigen Industriemaschinen übersteigen die generierten Gewinne, über den nachlaufenden Verkauf von Ersatzteilen und Services, nicht selten die Margen beim initialen Verkauf des Produktes. Darüber hinaus bietet sich hier seit jeher die Möglichkeit, Ersatzteilhersteller und Serviceanbieter über zertifizierte Partnerprogramme in die Wertschöpfungskette einzubinden und damit zu monetarisieren.

Eine mittel- und langfristige, zielgerichtete Strategie ist dabei unabdingbar, um neu auftauchenden Wettbewerbern hier keine Angriffsfläche auf das eigene Geschäftsmodell zu bieten. In den USA sind Amazon und eBay Motors bereits jetzt die größten Verkäufer von Auto-Ersatzteilen im Business-to-Consumer Market. Sie haben erfolgreich das digitale Vakuum genutzt, das Ihnen Hersteller und etablierte Aftermarket-Handelsketten überlassen haben.

Auch in Deutschland macht der Onlinehandel für Automobilersatzteile aktuell rund 13% aus und Roland Berger geht von einer Steigerung des Online-Marktanteils auf 20% bis in das Jahr 2025 aus.

Insofern ist die Frage handlungsleitend: “Welche Mehrwerte kann ein dezidiertes OEM-Aftermarketportal den auf mengenfixierten Margen und gewinnoptimiertes Procurement ausgerichteten Handelsplattformen entgegensetzen?”.

 
Qualität vor Quantität: Abgrenzung zu Amazon und eBay

Die offensichtlichste Schwäche von Amazon und eBay ist ihre generische Natur. Der schiere Angebotsüberfluss macht es für dem Kunden schwierig, für seine Bedürfnisse passende Ersatzteile ausfindig zu machen und steht dem Erwartungstrend entgegen, modularisierte und auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnittene Serviceangebote zu nutzen. Hinzu kommt die zusätzliche Unsicherheit in Bezug auf die Qualität der Ersatzteile, die nicht selten, und gerade auf eBay, ohne Zertifizierung, oder auch nur Genehmigung des OEM-Herstellers in Fernost, gefertigt werden. Ein Herstellerportal senkt an dieser Stelle für den Konsumenten das Transaktionsrisiko enorm. Es ist idealerweise optimal auf seinen Einsatz- und Bedarfsfall und sein gekauftes Produkt abgestimmt. Über intelligente Abfrageketten und „Wizards“ können interne Entscheidungsbäume des Herstellers für das richtige Ersatzteil für den richtigen Einsatzzweck optimal präsentiert werden. In Kombination mit einer garantierten Qualität des Ersatzteils oder der Dienstleistung rechtfertigt das Aftermarketportal dabei auch höhere Endpreise gegenüber den klassischen Handelsplattformen.

 
Das Aftermarketportal als zentraler Product-Information-Hub

Ein Aftermarketportal als reine eCommerce-Plattform zu sehen kann und sollte nur der Anfang des digitalen Transformationsprozesses sein. Zu einer holistischen User Experience gehört im Mindesten die Vorhaltung von sinnvollen Begleitinformationen, im einfachsten Fall als Download von Einbau- und Montageanleitungen. Gerade an dieser Stelle können die Möglichkeiten eines digitalen Mediums noch weiter ausgeschöpft werden. Schritt für Schritt Animationen oder Video-Tutorials führen den Kunden oder auch den Servicepartner durch den Einbau- oder Wartungsprozess und tragen dem selbstgesetzten Qualitätsanspruch sinnvoll Rechnung. Ein touchoptimiertes und responsiv gestaltetes User Interface macht die Dokumentation dabei auf dem Tablet des Monteurs werkstatttauglich. Die gerade erst aufkommenden neuen Möglichkeiten durch Virtual Reality (VR) oder Augmented Reality (AR) werden über entsprechende Aftermarketportale in der nahen Zukunft auch ihren Weg in die Servicepartner-Werkstätten finden. Interaktive Einbauanleitungen überlagern in AR-Apps auf dem Tablet oder VR-Anwendungen in Datenbrillen zukünftig dann das reale Blickfeld des Monteurs und machen den Fokuswechsel zwischen Serviceanleitung und Wartungsobjekt überflüssig.
 

eLearning

In weiteren Ausbaustufen ist die Integration von eLearning Komponenten, gerade mit Fokus auf die Servicepartner, eine spannende Entwicklung. Mit zunehmender Fahrzeugkomplexität ist der Endverbraucher jenseits des Austauschs von einfachen Verschleißteilen früh auf kompetente Servicepartner angewiesen. Diese profitieren zum einen bereits über die skizzierten Begleitinformationen und können zum anderen via interaktiver eLearning-Angebote weiter gezielt qualifiziert werden. Denkbar ist dabei eine Gamification-Komponente, sprich ein transparentes Nachverfolgen welche Qualifikationen vom Servicepartner über das Portal erfolgreich absolviert wurden. Scoreboards und Auszeichnungs-Badges machen den Traingserfolg dabei für andere Partner und Endkunden offensichtlich und werden im Hintergrund an Partnerstufen und Vergünstigungen zurückgebunden. Bei einer ansprechenden und kurzweiligen Gestaltung sowie einer sinnvollen Aufteilung in verschiedene Trainingspfade, abhängig von Servicepartnertyp und -rolle, liegt die Akzeptanz für solche Schulungs- und Weiterbildungsangebote deutlich über reinen gleichartigen Printangeboten. Der Partner wird somit zu regelmäßigen Besuch des Portals incentiviert. Erst recht, wenn eine kurzfristige und bedarfsgerechte Wiederholung eines bereits absolvierten Trainings jederzeit und schnell möglich ist.


Das Zusammenziehen aller genannten Teilkomponenten in ein Portal bietet dabei interessante Verknüpfungsperspektiven. Beispielsweise können besonders qualifizierte Servicepartner mit vergünstigten Bezugspreisen belohnt oder andersherum Ersatzteilabnahmen mit Qualifikationsguthaben zur Teilnahme an zugangsbeschränkten Trainings sinnvoll rückvergütet werden. Darüber hinaus ist eine Leistungsbewertung der Partner damit für den Hersteller jederzeit möglich und hilft dabei, Leistungsträger im eigenen Partnernetzwerk zu identifizierten und gezielt zu fördern. In der Summe wird für die Servicepartner ein echter Mehrwert geschaffen, der die Bindung an den Hersteller sinnvoll vertieft.
 

Verbindung von Endkunden und Servicepartnern erleichtern


Ein dergestalt aufgebautes Aftermarketportal kann die Findungsphase zwischen Endkunden und Servicepartner sinnvoll verkürzen. Basierend auf dem Servicebedarf und dem Qualifikationsraster der Servicepartner, kann dem Endkunden der Kontakt zum nächstgelegenen passenden Partner angeboten werden. Die Kür stellt dabei die Möglichkeit einer direkten Terminvereinbarung über das Portal dar, gegebenenfalls verbunden mit einem ersten unverbindlichen Kostenvoranschlag über hinterlegte Festpreislisten.


Connected Car und Internet of Things

Die oben genannten Anwendungsfälle gehen davon aus, dass erst der Servicefall eintritt und dann das Aftermarketportal aktiv aufgesucht wird. Experten einer Studie des World Economic Forums gehen davon aus, dass der Trend zum Connected Car hier noch weitergehende Implikationen haben wird. Bedingt durch die sich stetig vergünstigende Sensortechnik und offenen Industriestandards, wie dem CAN Bus und der OBD Schnittstelle, ist es bereits jetzt möglich, umfangreiche Funktions- und Leistungsparameter eines Fahrzeugs laufend zu erfassen. Mit der stetig wachsenden Verfügbarkeit von mobilen Internetzugängen verschmilzt diese technische Basis zum „Connected Car“, das seine Leistungsdaten laufend an den Hersteller übermittelt. Dieser kann bei Abweichungen aus dem definierten Normbereich proaktiv und vor Eintritt eines Schadens den Endnutzer verständigen und auf Servicenotwendigkeiten aufmerksam machen, noch bevor es zu einem schwerwiegenden und potentiell gefährlichen Zwischenfall kommt. Dasselbe Prinzip lässt sich potentiell auch auf andere Industriemaschinen anwenden. Hier ist die Vereinheitlichung von technischen Schnittstellen noch nicht ganz so weit fortgeschritten wie im Automobilbereich. Aber auch dort ist die Vernetzung, das „Internet of Things“, in Deutschland auch unter dem Stichwort Industrie 4.0, ein stetiges Wachstumsfeld.
 

Einbindung von Drittanbietern

Die Zusammenführung aller fahrzeugrelevanten Daten in einem zentralen Portal stellt nicht nur für den Hersteller eine interessante Basis für Service- und Wartungsdienstleistungen dar. Der 360-Grad-Blick auf den Kunden und seine Produktnutzung bietet einen Ansatzpunkt zur weiteren Integration von Dienstleistern in das periphere Ökosystem. Im PKW/LKW-Bereich ist die Zusammenführung mit Anbietern von Flottenmanagement-Anwendungen eine sinnvolle Integrationsebene. Im privaten Endkundenbereich liegt die Anbindung von KFZ-Versicherern oder Finanzierungsanbietern für Kraftfahrzeuge nahe, auch wenn datenschutzrechtliche Vorbehalte hier eines erheblich höheren Anreizes an Mehrwert dieser “Telematiktarife” bedürften, als in entsprechenden Pilotversuchen bisher geschehen.
 

Fazit

Das skizzierte Szenario zeigt: Hersteller, Servicepartner und angeschlossene Dienstleistungsanbieter stehen im Zeichen der digitalen Transformation viele Möglichkeiten offen, das Nutzererlebnis der Endkunden und deren Service Journey über den gesamten Product Lifecycle hinweg noch weiter auszubauen und zu vertiefen. Am Endpunkt steht die Vision des allumfassenden Service-Ökosystems, das sowohl im B2B als auch im B2C Bereich die Kundenbindung durch sinnvolle Mehrwerte positiv stärken kann.

 

Autor:
Peter Schuster
Teammanager Enterprise CMS bei TWT Interactive

14.10.2016
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